Von Kunden- zu Menschenzentrierung
Unternehmen, die ihre Customer Experience verbessern wollen, setzen meist genau dort an: bei den Bedürfnissen und Herausforderungen ihrer Nutzer*innen. Doch manchmal liegt die Lösung woanders. Warum Menschenzentrierung zu besseren Services führt.
Kundenzentrierung ist in vielen Unternehmen angekommen. Organisationen wollen die Bedürfnisse ihrer Kund*innen oder Nutzer*innen verstehen und erfüllen, mit dem Ziel, sie für sich zu gewinnen und ihre Zufriedenheit zu steigern. Der Aufstieg des «Age of the customer» hat guten Grund: Eine Studie des Qualtrics XM Institute im Juli 2022 zeigte, dass Kundenzentrierung bei Unternehmen zu einer höheren Kundenbindung, besserem Cross-selling und tieferen Kosten führt – kurz zu mehr Geschäftserfolg. Interessanterweise aber nicht nur das: Sie führt auch bei Mitarbeitenden zu einem höheren Engagement und einer stärkeren Bindung. Warum?
Services werden in Systemen erbracht
Die Konzentration auf die Bedürfnisse von Kund*innen oder Nutzer*innen als primäre Zielgruppe ist aus reiner Business-Perspektive logisch – jedoch eine zu isolierte Sicht. Der Marketing-Wissenschaftler Evert Gummesson und andere kritisierten diesen engen Blickwinkel schon vor über 15 Jahren und schlugen unter dem Begriff «balanced centricity» eine systemische Sicht vor, in der sich Unternehmen im Dienstleistungssektor nicht hauptsächlich auf eine Zielgruppe konzentrieren, sondern ihre Services im Kontext eines ganzen Ökosystems verstehen und gestalten. Denn Services werden nicht linear zwischen einem*einer Kund*in und einer Organisation erbracht, sondern meist in komplexen Systemen multipler Stakeholder und Einflussfaktoren – Kund*innen, Mitarbeitenden, Geschäftspartnern, anderen Organisationen und Communities.
Probleme an der Wurzel packen
Über den Tellerrand von Kundenzentrierung zu schauen, lohnt sich mindestens aus zwei Gründen. Erstens: Unternehmen haben manchmal weniger Einfluss auf die Entscheidungen ihrer Kund*innen als sie denken. Der zu enge Fokus auf Kund*innen und Nutzer*innen kann dazu führen, dass wichtige Stakeholder ausser Acht gelassen werden. In einem unserer Projekte, in dem wir Jugendliche zu ihrem Berufswahlprozess befragten, fanden wir zum Beispiel heraus, dass Eltern, enge Freunde und auch Berufsvertreter*innen viel wichtigere Entscheidungshilfen sind als offizielle Stellen. Der Einbezug dieser Stakeholder führte zu wirkungsvolleren Interventionen. Zweitens: Die Lösung für Probleme in der Customer Experience liegt vielleicht nicht in der direkten Kundeninteraktion, sondern in den organisatorischen Strukturen. Mitarbeitende zum Beispiel, welche mit Aufgaben überlastet, schlecht entlöhnt oder an zu spezifischen KPIs gemessen werden, können kaum zu einer guten Erfahrung für Kund*innen beitragen.
Menschenzentrierung führt zu besseren Services
Gute Services zu gestalten, die für alle Beteiligten wertvoll und nachhaltig sind, erfordert also den Blick fürs Ganze. Und noch etwas: keine Angst vor Komplexität. Die Visualisierung von Service-Ökosystemen hilft zu verstehen, warum, wie, wann und wo verschiedene Stakeholder miteinander interagieren bzw. sich gegenseitig beeinflussen. Unternehmen, die sich allein auf das Kundenerlebnis fokussieren, tappen möglicherweise im Dunkeln. Denn vielleicht müssen sie zuerst am Erlebnis ihrer Mitarbeitenden arbeiten, um jenes ihrer Kund*innen zu verbessern.